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  • AutorenbildSigrid Schein-Zint

Endlichkeit

Feucht war die Erde gewesen, feucht und warm, und sie hatte so gut nach Leben und Gedeihen gerochen. Es wachsen zu sehen, die Früchte ernten zu können, das war ihre größte Freude gewesen.

Die Sonne schickt lange Strahlen durch die staubigen Scheiben. Sie fühlt die Erde wieder, ja sie kann sie sogar riechen. Bald würde sie in dieser Erde liegen, nicht warm, nicht fühlend, aber eins mit ihr.

Sie ist alt, ihr Körper verbraucht. Ausruhen vom Leben, Abschied nehmen vom Leben, Frieden in sich finden, das sind jetzt ihre Aufgaben. Ihre Hände zittern ein wenig beim Einschenken des Tees, den Schuss Rum gießt sie aus einer kleinen Karaffe dazu. Ein wenig einnebeln, das erspart die Schlaftablette, die sie meist trotzdem nimmt. Sie will Frieden finden, will loslassen können. Denn sie wird bald gänzlich passiv und wahrnehmungslos sein, einfach nicht mehr da sein. Das Denken wird zum Empfinden, die Empfindung wird zur Angst. Aber sie muss es zu Ende denken, die Hoffnungslosigkeit ertragen, dass der Tod unausweichlich bevorsteht. Niemand lebt ewig, so einfach ist das. Der Park verschwindet in der Dämmerung, die Tischleuchte spiegelt sich in der schwarzen Scheibe.

Wir gehen dahin, wo wir hergekommen sind, aus dem Nichts in das Nichts.

Eine junge Frau bringt ihr das Abendessen und sieht nach den Medikamenten. Ein kurzes Gespräch über das warme Wetter, ein knappes Lächeln, dann ist sie wieder alleine.

Nicht mehr können, darum nicht mehr wollen?

Langsam Abschiednehmen, bewusst gehen, war sie schon soweit?

Einfach nicht mehr aufwachen?

Der Morgengesang der Amseln weckt sie. Sie spürt ihre steifen Glieder, sie lebt, sie ist noch dabei, welch ein Glück, noch diesen Tag zu haben.

Sigrid Schein-Zint



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